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Das Interview mit Christian Fiesel führte Harald Gramberg aus dem Hippiesland am 21.08.17


   

Harald G.: Aufmerksame Leser unseres Online-Magazins dürfte schon in anderen Beiträgen hin und wieder der Name Christian Fiesel aufgefallen sein, denn er komponiert nicht nur als Solist hervorragende elektronische Werke, sondern arbeitet auch gerne mit Künstlerkollegen zusammen. Umso mehr freut es mich, ihn heute in unserer Interview-Ecke begrüßen zu dürfen. Christian, vielleicht möchtest Du zu Beginn unseres Interviews erst einmal ein paar einleitende Worte an unsere Leser richten?

Christian Fiesel: Hallo Harald, erst einmal ein herzliches Dankeschön an Dich. Ich bin ziemlich aufgeregt, denn wenn es etwas gibt, was in der EM Szene eher selten ist, dann doch Interview-Anfragen. Was eigentlich sehr schade ist, gerade in Deutschland gibt es ja eine sehr lebhafte Kultur der elektronischen Musik, was vielleicht auch dem Krautrock als Wurzel der Entstehung in Deutschland geschuldet ist.

Harald G.: Du bist nicht erst seit gestern in der EM-Szene aktiv. Berichte uns doch mal, wie und unter welchen Gegebenheiten alles mal begann…

Christian Fiesel: Meine erste Begegnung mit elektronischer Musik ist schon sehr lange her und startete mit Kraftwerk 1974/1975 und deren Alben „Autobahn“ und „Radioaktivität“. Musik von den Sternen.

Richtig „los“ ging es aber erst nach vielen Umwegen über Schülerbands Mitte der 1990er Jahre, als ich zusammen mit einem Freund ein „richtiges“ Studio mit einer schier unendlich großen Samplebibliothek meine ersten Schritte mit „Kino für die Ohren“ begann, in dem ich mit verfremdeten Samples, einem Korg MS 10 und einer defekten elektrischen Gitarre mehrere Jahre lang herumprobierte. Danach habe ich aus privaten Gründen eine lange Pause gemacht, in der ich nur selten mal zur Gitarre griff. Erst mit der Entdeckung der Freeware „Audacity“, die selbst für Nicht-Techniker wie mich vergleichsweise schnell Ergebnisse zeigt, begann ich um 2008 wieder, Akustisches zu entdecken. Ich fing an, mittels Samples und einiger Tongeneratoren ziemlich schräges und experimentelles Zeug zu produzieren. Mein Ansatz war, elektronische Musik ohne Synthesizer zu produzieren und trotzdem hörbare Ergebnisse vorzulegen. Aus dieser Zeit stammt auch mein ästhetisches Konzept, Klänge bis zur Unkenntlichkeit zu behandeln.

Das Album „A Passage Through Time“, auf einem kleinen UK Label 2012 erschienen, war mein erstes „offizielles“ Statement. Ich sehe mich eher wie ein Sammler, der aus dem Meer Strandgut sammelt und in einen Kontext stellt. Diesen Ansatz habe ich bis heute. Ich produziere ohne Programmierungen, ich loope manuell eingespielte Takes und es gibt fast keine Beats.

Im Rahmen dieser Arbeiten gelang es mir beim Kieler „Spheredelic“ Netlabel meine ersten Werke zu veröffentlichen. Dies war sicherlich so ein wichtiger Startpunkt. Über die Zeit wurde meine Musik auch Dank des Erwerbs eines Mellotrons immer gewaltiger, düsterer aber auch melodischer. 2016 wurde ich dann von meinem Freund Hagen von Bergen, dem diese verqueren Klänge gefielen, angesprochen, ob wir nicht mal was auf seinem kleinen aber feinen BI-ZA Label etwas machen wollten. So kam es dann zu Hagen’s Delight, ein düsteres fast schon symphonisches Album, in dem ich viele meiner Einflüsse und Erfahrungen in ein Album zusammengefasst und dokumentiert habe.

Harald G.: Subgenres der elektronischen Musik gibt es reichlich, und nicht selten vermischen sich die verschiedensten Einflüsse. Wie würdest Du Deinen musikalischen Stil selbst zutreffend beschreiben? Gibt es Idole, die Dich bei Deiner Arbeit inspiriert haben?

20986203CF.jpgChristian Fiesel: Meine Musik passt aufgrund der unterschiedlichen Produktionsmethoden und Ergebnisse sicherlich in so einige Schubladen, die mir von Rezensenten wie auch befreundeten Kollegen zugeteilt werden. Und in gewisser Weise treffen auch alle zu. Ich kam zur elektronischen Musik ursprünglich über Kraftwerk, die gerade mit ihren frühen Werken bis Radioaktivität mich sehr beeinflusst haben. Grundsätzlich würde ich mich aber als Kind des Krautrocks bezeichnen, kleine melodische Fragmente, viele kleine Soundspielereien in kurzen Stücken, wie man sie zum Beispiel auch von meinen Vorbildern wie

Hans Joachim Roedelius, Cluster, Harmonia und Neu! kennt - um nur ein paar Namen zu erwähnen. Und die dunkle, mehr epische Seite, beeinflusst von Tangerine Dream und Klaus Schulze, ausufernde Klanggemälde für Sci-Fi oder Horrorfilme. Die frühen 1970iger Jahre waren ein einziges Abenteuer, dass ich mit meinen Mitteln versuche, neu zu erleben. Im Gegensatz zu den gängigen aktuellen Produkten aber unter komplett anderen Vorzeichen. Heutzutage geht das Rennen um den klinischen Sound, die perfekte Programmierung - das ist nicht mein Ansatz. Ich mag das Livemoment, das Risiko, alles aufzufahren und auch mal zu verlieren. Ich verwende zum Entsetzen meiner geschätzten Kollaborateure kein Midi und doppelten Boden. Das Klangbild ist bewusst extrem und harsch gewählt, sodass viele Freunde regulärer EM sich irritiert abwenden. Das ist zwar schade, aber natürlich völlig verständlich, alle Musiker suchen etwas Neues, jeder auf seinem Weg und das hält die EM grundsätzlich auch frisch. Wenn sich ein Musikstil erhalten soll, muss immer wieder der Versuch gestattet sein, die Grenzen auszutesten. Das verbindet mich ja auch sehr mit meinem Freund, Förderer und Kollegen Hagen von Bergen, mit dem ich die Idee der „Hunsrücker Schule“ als Kontrastprogramm zur „Berliner Schule“ ausgerufen habe. Dunkler, schriller, mutiger.

Harald G.: Unsere fachkundigen Leser dürfte es natürlich interessieren, womit bzw. mit welchen Geräten Deine musikalischen Werke entstehen. Deshalb gib ihnen doch mal einen Einblick in Dein technisches Equipment. Sind Deine Kompositionen rein elektronisch oder verwendest Du gelegentlich auch akustische Instrumente? 

Christian Fiesel: Grundsätzlich bin ich ein Jäger und Sammler, was man aber nicht unbedingt meinen Werken anhört. Ich habe wirklich eine Unmenge an Synthesizer (Hardware) und Spielzeug wie Effektpedale. Meistens fesselt mich aber bestimmtes Equipment für bestimmte Projekte. So ist zum Beispiel auf meinem Debütalbum „Hagen’s Delight“ das Mellotron sehr omnipräsent, sowie meine persönlichen Lieblingssynthies, der DSI Polyevolver und der Waldorf Streichfett. Natürlich kommen auch immer wieder mal eine elektrische Gitarre oder gar eine akustische Gitarre ins Spiel. Aber eher selten, die hebe ich mir auf für Ausflüge in den elektronischen Progrock mit dem Kollegen Wolfgang Barkowski aka Alien Nature.

Harald G.: Gibt es Dinge, auf die Du besonders achtest, z.B. auf bestimmte Tonfrequenzen oder auf ein gutes Mastering der einzelnen Tonspuren?

Christian Fiesel: Ich bin zu diesem Thema der ALBTRAUM eines jeden Tonmeisters. Klänge verschwimmen und dröhnen. Meine Musik eignet sich deswegen auch nicht zum Lauthören (wobei Hagen von Bergen sich beim Mastern des Albums sehr reingehängt hat, um das sicherzustellen, dass man es kann).  Ich möchte fast so weit gehen, dass es sogar Teil meines musikalischen Ansatzes ist, alles ins Verschwimmen zu bringen. In meiner Zusammenarbeit mit Rocco Müller als FM.Tronica führte das zu einigen Problemen. Rocco ist ein Analyst und Perfektionist der besten Sorte. Er hat Monate gebraucht, die epischen Sounds des Mellotrons unter Kontrolle zu bekommen. Um Deiner Frage eine vernünftige abschließende Antwort zu geben: Nein, im Gegenteil. Ich sorge eher für ein frequentielles Chaos.

Harald G.: Aber nun direkt mal zu der wahrscheinlich wichtigsten Frage für diejenigen Leser, die sich Deine Musik gerne anhören und bei Gefallen auch in ihrer Musiksammlung haben möchten: Wie viele Solo-Alben hast Du bereits veröffentlicht, wann war das und wie hast Du sie betitelt? Und natürlich dürfte sie auch interessieren, wo man diese Werke käuflich erwerben kann - im digitalen Download oder auch auf physischem Tonträger, sofern erhältlich…

Christian Fiesel: Die meisten meiner Produktionen sind als kostenlos zugängliche Arbeiten auf Netlabeln erschienen. Wie die meisten Kollegen freue ich mich einfach, dass es einen Kanal gibt, auf dem man seine Ideen teilen kann. Mein „Opus Magnum“ erschien unter dem Titel „Hagen’s Delight“ auf dem kleinen Hunsrücker Label BI-ZA und enthält nach meinem eigenen Empfinden mit das Beste, dass man von mir derzeit hören kann. Ich möchte ernsthaft sagen, dass ich so ziemlich JEDE Strömung, die mich als Künstler ausmacht, dort eingefangen habe.

Aber es gibt eine Reihe von Netlabel Veröffentlichungen, die sicher auch sehr hörenswert sind. Zum Beispiel auf dem amerikanischen Netlabel Aural Films (überwiegend Dark Ambient) oder dem Kieler Spheredelic Label (überwiegend Ambient und Krautrock), mit dem ich schon lange Jahre freundschaftlich/künstlerisch verbunden bin. Daneben noch eine große Zahl an Einzelveröffentlichungen wie z.B. die Alben „Northern Rain“, „Gravestone Alley“, „A Might Shade Of Blue“ und „Unsigned Documents“, die ich für wesentlich halte. Sie bilden meine Dark Ambient Seite ab. Im streng kommerziellen Sinne völlig unverkäuflich, aber gut hörbar, was einige Downloadzahlen so sagen.

Harald G.: Wo im Netz kann man sich sonst noch musikalische Darbietungen von Dir anhören, sich evtl. Videos anschauen oder weiterführende Informationen erhalten?

Christian Fiesel: Es gibt einen kleinen YouTube Kanal von mir, auf dem ich gelegentlich mal kleine Promovideos hochlade. Ansonsten bin ich gelegentlich auf Facebook zu sehen. Mir liegt die Selbstdarstellung nicht besonders. Ich bewundere das bedingungslose Selbstvermarkten anderer Kollegen, aber ich kann und mag das nicht. Ich finde, das Werk sollte für sich selbst stehen. Natürlich ein Fehler.

Harald G.: Eingangs hatte ich ja schon erwähnt, dass Du nicht nur als Solist tätig bist, sondern dass Du auch mit anderen zusammen Musik machst. Wer sind diese Künstler und welche Werke bzw. Alben entstanden bisher in Zusammenarbeit? Und natürlich auch hier wieder die Frage, wo man diese „Gemeinschaftswerke“ hören und auch kaufen kann…

Christian Fiesel: In der elektronischen Musik sind ja überwiegend „einsame Wölfe“ unterwegs, man trifft sehr selten auf „Bands“, man trifft sich zu Projekten, in denen sich mit etwas Glück das Beste der Beteiligten zu einem großartigen Klangamalgam verdichtet. Zusammenarbeit bedeutet aber auch das Aufgeben eigener Kompetenzen, und ja, das fällt mir schwer. Ich hatte 2013/2014 ein gemeinsames Projekt mit einem Kollegen aus Hessen, dass unter dem Namen „Black Oil Documents“ sogar einigen Erfolg hatte, was dann aber letztlich unter der künstlerischen Divergenz der Künstler auseinanderging. Danach war ich eine Zeit lang sehr skeptisch. Es gab aber zwei gute Gründe, diese Skepsis aufzugeben.

Der erste gute Grund war die Möglichkeit, mit dem von mir sehr bewunderten amerikanischen Künstler Jack Hertz „gemeinsame Sache“ zu machen. Zwei sehr offene Ansätze verdichteten sich in sehr unerwartet harmonischen Klängen. Die Alben „End Of The Steam Age“ (2016) und „Fast Rails“ sind derzeit auf dem Aural Films Label als Download erhältlich.

Der zweite Grund war der Wechsel des Instruments. 2016 wurde ich spontan vom Kollegen Wolfgang Barkowski angefragt, mal was Deftiges im EM Bereich zu wagen. Daraus wurden dann die Alben „Geistertanz“ (Bandcamp) und das sehr positiv aufgenommene „Unter Null“ bei Aural Films.

Dieses Jahr gab es dann noch eine besondere Art der Kollaboration mit Hagen von Bergen. Jeder von uns bekam ein Bündel Samples, die Hagen zusammengestellt hatte und machte daraus im Nachgang zu unseren gemeinsam erschienen Werken „Der dauernde Fluss“ und Hagen’s Delight noch einen kleinen Nachschlag auf Bandcamp namens Sperrgut veröffentlicht.

Last, but not least, formierte sich 2016 tatsächlich so etwas wie eine Band unter dem Namen FM.Tronica mit dem Kollegen Rocco Müller. Lange Zeit schien uns die Technik ziemlich im Weg zu stehen, da wir sehr unterschiedliche technische wie musikalische Methoden verwenden, aber jetzt sind wir fast am Start. Und ich denke, das wird SEHR hörenswert, auch für die Traditionalisten unter den EM Hörern, denen ich ja sonst eher fremd bin.

Harald G.: Ich gehe mal davon aus, dass es genügend Magazine bzw. Blog-Seiten gibt, die schon mal Rezensionen zu Deinen Soloalben und zu Alben, die gemeinschaftlich mit einem anderen Künstler entstanden sind, veröffentlicht haben. Welche wären das zum Beispiel?

Christian Fiesel: Oh ja. Für mich sind Rezensionen das Auge für den Hörer. Woher soll der geneigte Hörer schon ahnen, was er für sein Geld bekommt. Gerade für „Hagen’s Delight“ wurden sehr viele Rezensionen geschrieben. Ich bin ein offener Fan der Babyblauen Seiten, aber auch das Betreute Proggen und Musikreviews.de sowie den Musikzirkus von Stephan Schelle möchte ich hier nennen.

Harald G.: Beschränkst Du Dich ausschließlich auf Studioarbeiten oder kann man Dich auch schon mal Live auf der Bühne erleben?

Christian Fiesel: Es gab vor einigen Wochen tatsächlich eine Anfrage. Und irgendwie würde es mich sehr reizen, auch einmal live in Erscheinung zu treten. Da ich aber wirklich mit Hardware auftrete, wäre der Aufwand schon immens. Aber wer weiß. Inzwischen würde ich grundsätzlich nicht nein sagen.

Harald G.: Eine Frage, die ich unseren Interviewgästen immer wieder gerne stelle, bezieht sich auf das Thema „Radioaktivitäten“, denn besonders Internet-Radiosender erfreuen sich immer größer werdender Beliebtheit und können ein wichtiges Sprungbrett für Künstler sein, die sich mit ihren Werken nicht unbedingt an die breite Konsum-Masse richten. Dass Musik von Dir recht häufig in Internet-Radios zu hören ist, braucht man, glaube ich, nicht extra zu erwähnen, aber Du machst auch schon mal selber Radiosendungen? Erzähl uns doch mal etwas darüber…

Christian Fiesel: Radio für elektronische Musik ist immer schwierig. Ich bin ja selber DJ beim kleinen Internetradio Modul303, wo ich gerne und hemmungslos Werbung für die Musik von Bekannten, Freunden und mir selbst mache. Wer soll es denn sonst machen? Ich sehe das Problem auf vielen Ebenen. Elektronische Musik ist schon lange kein adäquater Ausdruck mehr für das Phänomen, von dem ich Teil bin. Ambient und Dark Ambient sind inzwischen zu sehr dominierenden Teilen geworden, wie auch die Berliner Schule. Diese Stücke brauchen aber immer Zeit. Nicht nur, weil viele Stücke einfach sehr lang sind (man denke da nur an Klaus Schulze, der auch gerne mal locker lächelnd die 30 Minuten füllt), sondern weil die Musik bei aller Klischeebeladenheit auch immer wieder mutige Pioniere wie zum Beispiel Hagen von Bergen oder Alien Nature hat, die man NICHT mal eben nebenher hören kann. Ich möchte allerdings als DJ auch dem Irrglauben entgegentreten, dass nur gut ist, was stört. Ich liebe „schöne“ elektronische Musik. Aber eben nicht nur. Es gibt für einen Radiomacher also immer auch die Gradwanderung. Und das bei der doch sehr eingeschränkten Anzahl an Zuhörern, die nicht verprellt werden sollen. Mein Prinzip ist es daher: Spiel, worauf Du Lust hast und warte ab.

Harald G.: Im Namen der Redaktion und im Namen aller Leser bedanke ich mich für dieses interessante Gespräch. Wie an dieser Stelle üblich, mögen die abschließenden Worte Dir gehören. Gibt es noch etwas, was Du unserer Leserschaft mit auf den Weg geben möchtest?

Christian Fiesel.: Auch ich möchte mich sehr herzlich für die Gelegenheit bedanken, mich zu äußern. Ich hoffe, wir konnten den einen oder anderen ein wenig neugierig machen.